Ursachen von Nesselsucht beleuchtet
Urtikaria (Nesselfieber/Nesselsucht)
Fast jede fünfte Person erlebt im Laufe ihres Lebens Urtikaria. Urtikaria kann als Anzeichen einer Allergie (gegen Lebensmittel, Insektengifte, Medikamente) auftreten oder durch Infektionen, physikalische Reize wie Kälte, Autoimmunprozesse oder Stress getriggert werden. Zwischen einem akuten und einem chronischen Urtikaria-Verlauf wird unterschieden.
Überblick
Nesselsucht (Urtikaria) ist eine weit verbreitete Hautkrankheit, die sowohl Erwachsene als auch Kinder betreffen kann. Es kommt zur Bildung von juckenden Quaddeln und/oder Angioödemen, also Flüssigkeitsansammlungen in der Haut oder den Schleimhäuten, wie zum Beispiel im Mundraum. Meistens klingen die Quaddeln innerhalb von 30 Minuten bis zu 24 Stunden von selbst ab. Angioödeme können mehrere Tage bestehen bleiben. Die Erscheinungsbilder der Krankheit variieren je nach Urtikaria-Typen und -subtypen, die ebenfalls in Kombination auftreten können.
Urtikaria wird primär durch die Aktivierung von Mastzellen ausgelöst, die in der Folge Botenstoffe (insbesondere Histamin) freisetzen.
Man unterscheidet zwischen allergischer Urtikaria und nicht-allergischer Urtikaria. Bei der allergischen Urtikaria werden die Mastzellen durch spezifische IgE-Antikörper aktiviert, während sie bei der nicht-allergischen Form direkt durch unterschiedliche Reize aktiviert werden; IgE-Antikörper spielen hier keine Rolle.
Eine allergiebedingte Urtikaria ist selten. In diesem Fall sind Quaddeln und/oder Angioödeme oft mit Symptomen an anderen Organen verbunden, wie beispielsweise der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts und/oder des Kreislaufs, was in den schwersten Fällen zu einem anaphylaktischen Schock führen kann. Die Symptome treten kurz, also in wenigen Minuten bis meistens innerhalb einer Stunde nach Kontakt mit dem auslösenden Allergen auf und sind zeitlich begrenzt. Sie manifestieren sich typischerweise bei erneuter Konfrontation mit demselben Allergen. Die nicht-allergische, spontane Urtikaria tritt am häufigsten auf, ihre Auslöser sind komplex und vielfältig; oftmals können keine zugrunde liegenden Ursachen nachgewiesen werden.
Die isolierte Urtikaria ist nicht ansteckend und an sich nicht gefährlich, wenn keine weiteren Organe betroffen sind. Sie kann jedoch die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit von Betroffenen negativ beeinflussen. Es wurden Folgen wie Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und sexuelle Funktionsstörungen dokumentiert.
Symptome
Die typischen Symptome der Urtikaria sind Quaddeln, die von Angioödemen, also Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe, begleitet werden können. Bei spontaner Urtikaria ist häufig der gesamte Körper betroffen, im Fall der induzierbaren Urtikaria in der Regel nur die Stellen, die mit einem relevanten Auslöser in Berührung kamen und so die Reaktion auslösten.
Quaddeln sind klar abgegrenzte, oberflächliche Schwellungen der Haut, mit unterschiedlicher Größe und Form. Diese Schwellungen sind typischerweise von Rötungen umgeben. Sie gehen mit Juckreiz einher und klingen meistens innerhalb von 30 Minuten bis zu 24 Stunden von selbst wieder ab.
Angioödeme sind größere Schwellungen von tieferen Hautschichten oder Schleimhäuten. Sie können mit oder ohne Rötung auftreten und sind manchmal von Druckempfindlichkeit und Kribbeln begleitet. Die Schwellungen können am ganzen Körper auftreten, treten aber häufig an bestimmten Regionen wie Lippen und Augenlidern, Händen, Füßen, Armen, Beinen und Genitalien auf. Sie können bis zu 72 Stunden andauern.
Ursachen und Formen
Die Nesselsucht wird aufgrund der Krankheitsdauer in akute und chronische Urtikaria unterteilt. Eine akute Urtikaria dauert maximal sechs Wochen, chronische Urtikaria länger.
Bei der akuten Urtikaria treten Quaddeln und/oder Angioödeme charakteristischerweise für maximal sechs Wochen auf. Die genauen Ursachen sind oft schwer zu ermitteln und werden in der Regel auch nicht weiter intensiv untersucht, da die Symptome von selbst wieder verschwinden. Bei Verdacht auf eine allergisch bedingte Urtikaria versucht man hingegen, das verantwortliche Allergen zu identifizieren, um Rückfälle zu vermeiden.
Bei der chronischen Urtikaria treten Quaddeln und/oder Angioödeme typischerweise während mehr als sechs Wochen auf. Die Symptome können täglich auftreten, es gibt aber auch Verlaufsformen mit symptomfreien Intervallen, die unterschiedlich lange dauern. Bei chronischer Urtikaria wird bezüglich Auslösern zwischen spontaner und induzierbarer Urtikaria unterschieden, die auch kombiniert vorkommen können.
Chronische spontane Urtikaria
Die Ursachen von chronischer spontaner Urtikaria sind meistens unbekannt. Medikamente, Infektionen, Entzündungen und Stress können die Symptome auslösen oder verstärken. Diese sogenannten Trigger sind im Fall von chronischer spontaner Urtikaria jedoch nicht eindeutig: Denn die typischen Symptome wie Quaddeln und/oder Angioödeme werden nicht immer ausgelöst, und zudem können die Symptome auch ohne Trigger entstehen.
Chronische induzierbare Urtikaria
Zur chronischen induzierbaren Urtikaria gehören verschiedene Formen, die sich alle durch bestimmte Reize auslösen, also induzieren lassen. Bei der chronischen induzierbaren Urtikaria treten die Symptome, im Gegensatz zur chronischen spontanen Urtikaria, immer nur auf, wenn die Trigger vorhanden sind. Die Trigger sind sehr spezifisch, da sie nur eine bestimmte Form der Urtikaria auslösen und für die anderen Formen in der Regel nicht relevant sind.
Kälte-, Wärme-, Druck- und Lichturtikaria sowie Urticaria factitia werden auch unter dem Begriff physikalische Urtikaria zusammengefasst.
Urticaria factitia: Nach kräftigem Reiben, Kratzen oder unter enganliegender Kleidung bilden sich strichförmige Quaddeln, und die Haut juckt und brennt. Die Quaddeln verschwinden meist innerhalb einer Stunde.
Kälteurtikaria (Kältekontakturtikaria): Innerhalb weniger Minuten bilden sich Quaddeln oder Angioödeme, wenn die Haut mit Kälte – kalter Luft/Wind, Flüssigkeiten oder festen Gegenständen – in Kontakt kam und anschließend wieder erwärmt wird. Die Hauterscheinungen halten normalerweise rund eine Stunde an. In schweren Fällen kann es zu Allgemeinreaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock kommen.
Cholinergische Urtikaria: Die Haut rötet sich und es bilden sich Quaddeln nach körperlicher/sportlicher Aktivität, aber auch nach passiver Erwärmung, etwa durch ein warmes Bad. Bei manchen Betroffenen werden die Symptome auch durch emotionalen Stress und heiße, scharfe Speisen oder Getränke ausgelöst. Sie bleiben zwischen 15 und 60 Minuten bestehen.
Wärmeurtikaria (Wärmekontakturtikaria): Wenn die Haut Wärme ausgesetzt wird, bilden sich innerhalb von Minuten juckende und brennende Quaddeln. Diese Form ist sehr selten.
Druckurtikaria (verzögerte Druckurtikaria): Die Haut schwillt an und rötet sich, wenn Druck auf die Haut einwirkt. Die Hautreaktion tritt innerhalb von 30 Minuten bis zu 12 Stunden nach dem Druck auf, also verzögert, und kann bis zu 72 Stunden andauern.
Lichturtikaria (solare Urtikaria): Juckende und/oder brennende Quaddeln bilden sich, wenn die Haut sichtbarem und/oder ultraviolettem (UV)-Licht ausgesetzt wird. Die Hautveränderungen treten meistens innerhalb von wenigen Minuten auf.
Aquagene Urtikaria: Quaddeln oder Angioödeme bilden sich innerhalb von 30 Minuten, wenn die Haut mit Wasser in Kontakt kommt, unabhängig von dessen Temperatur. Diese Form ist sehr selten.
Vibrationsurtikaria /-Angioödem: Hautschwellungen und Juckreiz entstehen innerhalb von Minuten bis Stunden, nachdem die Haut Vibration ausgesetzt wurde. Diese Form ist sehr selten.
Kontakturtikaria: Quaddeln oder Angioödeme bilden sich innerhalb von Minuten (üblicherweise zirka 30 Minuten), wenn die Haut mit auslösenden Stoffen in Kontakt kommt, zum Beispiel Latex.
Diagnose
Bei einer akuten Urtikaria ist meist keine aufwändige Diagnostik von Nöten, da die Erkrankung in der Regel innerhalb von maximal sechs Wochen von selbst wieder abklingt. Nur wenn der Verdacht besteht, dass die Urtikaria als Symptom einer allergischen Reaktion (beispielsweise auf Nahrungsmittel, Medikamente oder Insektengift) aufgetreten ist, sind weitere Abklärungen sinnvoll.
Bei einer chronischen Urtikaria ist die Abklärung komplexer. Der erste Schritt ist ein detailliertes Gespräch mit dem Arzt, der Ärztin (Anamnese). Dabei sollten Umstände wie Einnahme von Medikamenten, körperliche Anstrengung, Stress, Reisen sowie zeitliche Angaben zum Auftreten möglichst präzise dokumentiert werden. Die Führung eines Tagebuchs über einen bestimmten Zeitraum kann dabei sehr hilfreich sein.
Bei der chronischen spontanen Urtikaria werden in der Regel weitere Untersuchungen durchgeführt, mit dem Ziel, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen sowie mögliche Ursachen und Auslöser zu identifizieren.
Weisen Anamnese und körperliche Untersuchung auf eine chronische induzierbare Urtikaria hin, werden Provokationstests mit dem verdächtigten Auslöser durchgeführt. Mittels gängiger Messverfahren kann die Diagnose meist bestätigt und womöglich der individuelle Schwellenwert definiert werden, ab dem die Symptome ausgelöst werden.
Therapie
Bei erfolgreicher Behandlung der Urtikaria treten keine Symptome mehr auf und die Lebensqualität wird nicht beeinträchtigt. Je nach Typen und Subtypen der Urtikaria können drei Therapieansätze relevant sein, die einzeln oder in Kombination angewendet werden:
- Beseitigen der Ursachen und/oder Vermeidung von auslösenden Faktoren
- medikamentöse Therapie
- Toleranzentwicklung
Vermeiden der Auslöser
Die grundlegenden Ursachen zu beseitigen, ist in den meisten Fällen nicht möglich. Bei akuter und chronischer induzierbarer Urtikaria bleiben diese oft unbekannt, und die häufigsten Ursachen von chronischer spontaner Urtikaria – nämlich Autoimmunprozesse – können nicht eliminiert werden.
Das Vermeiden von auslösenden Faktoren hingegen kann eine wichtige Rolle für die Kontrolle der Urtikaria spielen. Bei chronischer induzierbarer Urtikaria kann dadurch die Häufigkeit von Symptomen meist reduziert werden. Auch bei chronischer spontaner Urtikaria können durch das Vermeiden der individuellen Trigger Symptome teilweise gemindert werden.
Medikamentöse Therapie
Das Anwenden oder Einnehmen von Medikamenten bei Urtikaria hat keinen Einfluss auf die Ursachen, kann aber helfen, die Symptome zu kontrollieren. Am häufigsten werden Antihistaminika der zweiten Generation verschrieben, die auch hochdosiert und über einen längeren Zeitraum eingenommen werden können.
Meistens genügt zur Behandlung der akuten Urtikaria ein Antihistaminikum in Form von Tabletten oder Tropfen. Um den Schub zu verkürzen, wird manchmal zusätzlich kurzfristig ein Kortison-Präparat eingesetzt. Wenn die Haut stark betroffen ist, sollten Hautreizungen durch Kratzen, Reibung und Druck vermieden werden.
Um eine chronische Urtikaria zu behandeln, benötigt es oft Geduld von Betroffenen und Arzt oder Ärztin, da die genaue Ursache oftmals unbekannt bleibt. Im Vordergrund der Therapie steht die Linderung des Juckreizes und der Quaddeln. Antihistaminika sind die Grundlage der Therapie; diese können ebenfalls in höheren Dosierungen und über mehrere Wochen und Monate eingenommen werden. Reichen hochdosierte Antihistaminika nicht aus, kann die Urtikaria zusätzlich mit Biologika behandelt werden. Diese neuen Medikamente sind häufig Antikörper, die körpereigene Substanzen oder Zellen hemmen und so überschießende Reaktionen des Immunsystems eindämmen. Bei schweren Urtikaria-Schüben werden zusätzlich systemische Kortisonpräparate eingesetzt.
Eine Toleranz herbeizuführen, kann bei bestimmten Formen von chronischer induzierbarer Urtikaria (Kälteurtikaria, Lichturtikaria oder cholinergischer Urtikaria) gelingen. Diese Toleranz hält in der Regel jedoch nur wenige Tage an, und die Behandlung - wie zum Beispiel täglich eine kalte Dusche bei Kälteurtikaria - muss regelmäßig wiederholt werden. Dies wird von den Betroffenen oft als aufwändig und/oder unangenehm empfunden.
Tipps und Tricks
- Bei einer allergischen Urtikaria den Auslöser identifizieren und strikt meiden.
- Bei Druckurtikaria keine engen Kleidung und Schuhe tragen. Ebenso kann es helfen, die Kontaktflächen zu vergrößern, etwa durch breitere Taschengriffe oder Topträger.
- Bei cholinergischer Urtikaria verschwinden die Symptome nach Ende der körperlichen Aktivität normalerweise von allein.
- Bei starker psychischer Belastung unterstützen Entspannungstechniken wie autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation.
- Auch Medikamente können helfen. Bei einer Therapie mit Antihistaminika diese regelmäßig einnehmen, um so das Auftreten von Symptomen langfristig zu verhindern, nicht nur nach Bedarf. Für genaue Angaben an den Arzt wenden.
Zahlen und Fakten
- Etwa jeder fünfte Mensch erleidet in seinem Leben eine Episode mit Urtikaria.
- Es wird geschätzt, dass 0.5 bis 1 Prozent der europäischen Bevölkerung an chronischer Urtikaria leidet, am häufigsten am spontanen Typ.
- Urtikaria kann in allen Altersgruppen auftreten, auch bei Säuglingen und Kleinkindern. Frauen sind etwas mehr betroffen als Männer.
Redaktion: aha! Allergiezentrum Schweiz, in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Beirat.