Überstehende Äste auf fremdem Grund und Boden
Die Ausbreitung vegetativer Elemente
Eine Benachteiligung ist Kondition für das Recht zur Selbsthilfe
Foto: Andreas/Adobe Stock
Häufig entspinnt sich eine Auseinandersetzung zwischen zwei Anliegern, sobald Zweige eines an der Grundstückslinie stehenden Baumes oder eines Strauches die Grenzlinie überwinden oder deren Wurzeln in das angrenzende Eigentum vordringen. Gemäß § 910 BGB ist es dem Besitzer eines angrenzenden Areals rechtlich gestattet, eigenmächtig überhängende Äste, Zweige und vordringende Wurzeln, sofern diese die Grundstücksgrenze überragen, zu entfernen. Dies dient dazu, ihm die Verteidigung gegen diesen pflanzlichen Übergriff zu ermöglichen. Das eigenständige Entfernen von Ästen und Zweigen ist allerdings erst zulässig, nachdem dem Nachbarn eine in Anbetracht der Vegetationsphase und der herrschenden Witterungsverhältnisse angemessene Periode zur Eliminierung des Überwuchses gewährt wurde und dieser die Maßnahme in der vorgegebenen Zeit nicht selbst durchgeführt hat. Üblicherweise erweist sich eine Zeitspanne von etwa vier bis sechs Wochen hierfür als hinreichend. Zur Sicherstellung der Beweisführung empfiehlt es sich, die Einräumung der Frist stets in schriftlicher Form vorzunehmen. Das entsprechende Dokument sollte entweder via eingeschriebenem Briefpostversand übermittelt oder im Beisein eines Zeugen in den Briefkasten des angrenzenden Eigentümers deponiert werden.
Zeigt sich klar, dass ein Gehölz seine Standfestigkeit aufgrund der Kürzung seiner überwucherten Wurzeln einbüßt, so ist der Baumbesitzer vor dem tatsächlichen Wurzelkappung darüber in Kenntnis zu setzen. Ihm ist dabei die Gelegenheit einzuräumen, entweder Vorkehrungen zur Erhaltung der Stabilität zu ergreifen oder das Gehölz proaktiv zu roden. Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf Ersatz für Beschädigungen an Gehölzen, die aus der korrekten Anwendung des Selbsthilferechts resultieren, da die betreffende Handlung nicht als rechtswidrig eingestuft wird.
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Das Selbsthilferecht kann stets nur beansprucht werden, wenn der Anlieger infolge des Überwuchses in der Verwertung seines Grundstücks behindert ist. Als ausschlaggebend gilt dabei die gegenwärtige wie auch die für die nahe Zukunft vorgesehene Art der Inanspruchnahme. Allein die bloße Existenz von Überwurzelungen, die Minderung des Sonnenlichts durch herabhängende Äste, herabfließendes Regenwasser oder ein Blätterabwurf von nur unbedeutendem Ausmaß, werden zumeist noch nicht als schützenswerte Störung betrachtet. Es ist zudem fortwährend umstritten, inwieweit die Nutzung des Nachbargrundstücks durch herabragende Äste und Zweige in ihrer vertikalen Ausdehnung eingeschränkt wird. Diesbezüglich wurde vom Amtsgericht Lichtenfels (Az.: 1 C 40/00) respektive dem Landgericht Coburg (Az.: 32 S 11/01) die grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass lediglich diejenigen Äste und Zweige zu entfernen sind, welche unterhalb einer vertikalen Marke von fünf Metern in das angrenzende Areal hineinragen. Wachstum, das die Fünf-Meter-Marke übersteigt, ist indes zumeist zu tolerieren, da in solchen Fällen eine Beeinträchtigung gewöhnlich nicht gegeben ist.
Sofern die zuvor genannten Bedingungen erfüllt sind, ist der betroffene Anlieger berechtigt, die betreffenden Zweige und Wurzeln sachkundig bis zur Grundstückslinie (aber keinesfalls über diese hinaus) zu kürzen und die abgeschnittenen Teile zu behalten. Die entfernten Abschnitte dürfen jedoch keinesfalls auf den Grundbesitz des Baumbesitzers zurückgeworfen werden. Erfolgt das Entfernen überwucherter Äste und Zweige ohne eine vorangegangene Terminierung oder ohne das Vorhandensein einer tatsächlichen Störung oder gar jenseits der Grenzlinie, so kann der Baumbesitzer hieraus einen Anspruch auf Schadenersatz ableiten.
Neben dem Selbsthilferecht hat der beeinträchtigte Anlieger gemäß § 1004 BGB ebenso das gerichtlich durchsetzbare Anrecht, vom Baumbesitzer die Beseitigung des Überwuchses einzufordern. Verweigert dieser die Überwuchsbeseitigung und lässt der Nachbar daraufhin den Überwuchs durch einen Dritten (beispielsweise einen professionellen Gärtner) entfernen, so sind die hierfür aufgewendeten Kosten vom Baumbesitzer zu erstatten.
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Fordert der benachteiligte Anlieger vom Baumbesitzer die Entfernung des überragenden Pflanzenwuchses und ist diese Maßnahme ausschließlich vom angrenzenden Grundstück aus realisierbar, so muss dem Baumbesitzer naturgemäß auch der Zutritt zu diesem Grundbesitz gestattet werden. Widrigenfalls würde die Forderung des beeinträchtigten Anliegers als missbräuchliche Ausübung von Rechten eingestuft werden. Ebenso wenig kann die Freihaltung eines Zwischenraumes zwischen der Zaunanlage und einer direkt an der Grundstücksgrenze befindlichen Hecke verlangt werden, welcher das Stutzen der Hecke zur Nachbarseite hin ermöglichen würde.
Abschließend gilt es zu berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme der zuvor erwähnten Rechte unter Umständen entfällt, falls der jeweilige Baum oder Strauch durch eine gültige Baumschutzverordnung unter Schutz gestellt ist. Ob und in welchem Umfang dies zutrifft, sollte bei der örtlichen Gemeindeverwaltung in Erfahrung gebracht werden. Erfolgt die Kürzung eines Baumes, der im Schutzbereich einer lokalen Gehölzschutzsatzung steht, im Rahmen der Anwendung des Selbsthilferechts ohne entsprechende behördliche Erlaubnis, so wird dies als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Gemäß einem Spruch des Oberlandesgerichtes Hamm (Az.: 3 Ss OWi 494/07) kann eine solche Übertretung mit einem Bußgeld sanktioniert werden.
Rainer Schmitt
Jurist beim Eigenheimerverband Bayern e.V.