Rückenschmerzen durch Metastasen
Wirbelmetastasen
Andreas Raabe, Ralph Schär
Die meisten Wirbelsäulentumoren sind Metastasen von Tumoren außerhalb der Wirbelsäule. Bis zu 10 % der Krebspatienten entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung Wirbelsäulenmetastasen. Zu den häufigsten primären Tumoren zählen Brust-, Prostata- und Bronchialkarzinome. Symptomatisch zeigen sich Wirbelmetastasen oft durch Schmerzen in der Wirbelsäule, die sich eventuell auf Arme, Brustkorb oder Beine ausstrahlen können. Aufgrund der engen Verhältnisse in der Wirbelsäule können expandierende Metastasen schnell zu fortschreitenden neurologischen Ausfällen bis hin zu einem Querschnittssyndrom führen.
Wie häufig sind Wirbelmetastasen?
Durch verbesserte Prognosen bei Krebspatienten werden Wirbelsäulenmetastasen immer häufiger diagnostiziert. Sie treten heutzutage bei 10 % aller Karzinompatienten auf. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Die Diagnose wird meist im mittleren Alter (40-65 Jahre) gestellt. Im Kindesalter sind Metastasen sehr selten. Häufiger kommen hier intramedulläre Tumoren, meist Hirntumoren, vor.
Nach Leber und Lunge ist der Knochen der dritthäufigste Metastasierungsort; ⅔ dieser Knochenmetastasen betreffen die Wirbelsäule. Die Metastasierung in die Wirbelsäule erfolgt meist über den Blutkreislauf. Zunächst sind in der Regel die Wirbelkörper betroffen. Mit zunehmendem Wachstum der Metastasen vom Wirbelfortsatz zum Spinalkanal wird aber auch das Rückenmark stärker in Mitleidenschaft gezogen. Eine Manifestation primär seitlich oder dorsal vom Rückenmark tritt deutlich seltener auf. Die meisten Wirbelsäulenmetastasen breiten sich nicht in die Dura mater aus; intradurale und nur in 1-2 % intramedulläre Ausbreitung tritt daher nur in 2-4 % der Fälle auf.
Im Prinzip kann jeder bösartige Tumor zu Wirbelsäulenmetastasen führen. Besonders häufig, etwa bei 80 % der Betroffenen, treten jedoch Lungen-, Brust-, Magen-Darm-, Prostata-, Nierenzellkarzinome oder Lymphome auf.
Metastasen in der Wirbelsäule können auch zur Erstdiagnose eines Karzinoms führen (in 5-10 % aller Fälle). Proportional zur Länge der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule ist die Brustwirbelsäule (Thoraxwirbelsäule) mit 50-60 % aller Fälle am häufigsten betroffen (meist zwischen den Brustwirbelkörpern 4 bis 7). Beim Prostatakarzinom hingegen treten Metastasen häufiger in der Lendenwirbelsäule (Lendenwirbelsäule) auf. Bei über der Hälfte der Patienten mit Wirbelmetastasen sind mehrere Wirbelabschnitte betroffen; bei 10-38 % der Patienten liegt eine Metastasierung in nicht benachbarte Segmente vor.
Wie werden Wirbelmetastasen eingeteilt?
Spinale Tumoren lassen sich nach ihrer Lage in drei Gruppen einteilen:
- Extradurale Tumoren machen mit 55 % die Mehrheit aus und wachsen im Epiduralraum oder im Wirbelkörper (z. B. Metastasen).
- Intradurale, extramedulläre Tumoren bilden die zweitgrößte Gruppe (40 %) und entwickeln sich im Bereich der Leptomeninge oder der Nervenwurzeln (z. B. Meningeome, Neurinome).
- Intradurale, intramedulläre Tumoren sind deutlich seltener und wachsen innerhalb des Rückenmarks (z. B. Ependymome, Gliome).
Welche Symptome treten bei Wirbelmetastasen auf?
Wirbelsäulenmetastasen können Symptome verursachen, wenn sie Druck auf Nervenwurzeln und das Myelon (wichtige motorische und sensorische Nervenbahnen im Wirbelkanal) ausüben. Wirbelsäulenmetastasen weisen typischerweise eine relativ lange Latenz auf. Zwischen dem Auftreten erster Symptome und der Diagnose vergehen durchschnittlich 2 Monate. Patienten klagen zu Beginn meist über anhaltende, therapieresistente Schmerzen ohne erkennbare Ursache, die vorwiegend nachts auftreten. Dies ist mit 95 % das häufigste Symptom.
Man unterscheidet folgende Schmerzformen:
- Lokalschmerz, der meist im betroffenen Wirbelsäulensegment auftritt und im Liegen (vor allem nachts) verstärkt wird
- radikulärer Schmerz, der von der betroffenen Nervenwurzel bis ins Versorgungsgebiet des betroffenen Nervs ausstrahlt (z. B. gürtelförmig in Brustkorb, Arme oder Beine). Dieser Schmerz hat einen stechenden, elektrisierenden Charakter.
Motorische und vegetative Funktionsstörungen sind die zweithäufigsten Symptome. 85 % der Patienten mit Wirbelmetastasen sind betroffen. Es kommt zu einer Kraftminderung in Beinen und/oder Armen, die bis zu einer vollständigen Lähmung führen kann. 76 % der Patienten weisen bereits bei Diagnose eine motorische Schwäche auf. 15 % leiden sogar unter einer Querschnittslähmung. Von diesen können nach der Therapie nur weniger als 5 % wieder gehen.
Oftmals treten zusätzlich autonome Störungen auf, wie Blasenentleerungsstörungen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Impotenz. Diese Symptome deuten auf eine ausgeprägte Kompression des Rückenmarks hin. Zu den Symptomen zählen auch Sensibilitätsstörungen, die sich in Form von Gefühlsstörungen und Taubheitsgefühlen (Anästhesie, Hypästhesie oder Parästhesie) äußern können. Insbesondere bei Lokalisation im Hals- oder Brustbereich kann die Höhe der sensorischen Störung auf die betroffene Wirbelhöhe hinweisen.
Durch das destruktive Wachstum der Metastasen kann es zudem zu tumorbedingten Wirbelkörperfrakturen kommen. Eine mögliche Folge ist die Rückenmarkskompression, die innerhalb weniger Stunden zu einer schnell fortschreitenden Querschnittslähmung führen kann. Durch die Knochendestruktion kommt es außerdem zu einem erhöhten Kalziumspiegel im Blut (Hyperkalzämie). Neben Symptomen wie Müdigkeit, Muskelschwäche und Konzentrationsstörungen können sich diverse internistische Probleme (wie Obstipation, Pankreatitis, Niereninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen bis hin zum Koma) daraus ergeben.
Patienten mit bösartigen Grunderkrankungen, die zur Risikogruppe für Wirbelmetastasen gehören, sollten bei Auftreten von Symptomen zeitnah ihren behandelnden Arzt aufsuchen. Je ausgeprägter die neurologischen Störungen sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Heilung durch die Behandlung.
Der Schweregrad der klinischen Symptome wird mithilfe der Brice-McKissock-Klassifikation bestimmt und eingeteilt.
| Grad der Störung | Beschreibung | |
|---|---|---|
| 1 | gering | Patient kann gehen. |
| 2 | mittel | Patient kann die Beine bewegen, jedoch nicht gegen die Schwerkraft. |
| 3 | schwer | geringe motorische und sensorische Restfunktionen. |
| 4 | vollständig | keine motorischen und sensorischen Funktionen mehr vorhanden, Schließmuskeltonus fehlt. |
Wie werden Wirbelmetastasen diagnostiziert?
Bei entsprechenden Symptomen erfolgt zunächst eine neurologische Untersuchung zur Abklärung des Verdachts auf Wirbelsäulenmetastasen. Bestätigt sich der Verdacht, ist eine bildgebende Diagnostik notwendig:
Magnetresonanztomografie
Die MRT verwendet ein Magnetfeld zur detaillierten Darstellung der Weichteile. Sie ermöglicht die Unterscheidung von Wirbelsäulenmetastasen und anderen Wirbelsäulenveränderungen. Die Untersuchung wird mit Kontrastmittel durchgeführt.
Computertomografie
Die CT ist oft eine schnelle bildgebende Methode. Sie zeigt detailliert die Knochenstrukturen. Für die Darstellung von Wirbelsäulenmetastasen ist sie jedoch weniger sensitiv als die MRT. Die Untersuchung wird mit Röntgenstrahlen und häufig zusätzlich mit Kontrastmittel zur besseren Darstellung des Tumors durchgeführt.
Positronen-Emissions-Tomografie
Die PET ist eine Ganzkörperuntersuchung zur Metastasensuche bei bekannten Tumoren. Die Sensitivität ist hoch, die Auflösung jedoch geringer. Ende 2020 wurde ein weltweit schneller PET-CT-Scanner im Inselspital in Betrieb genommen. Dieser moderne Scanner ermöglicht eine exzellente Bildqualität bei kürzerer Untersuchungszeit und reduzierter Strahlenbelastung.
Röntgenaufnahme
Eine Röntgenaufnahme ist schnell und einfach durchführbar. Sie ist jedoch nicht spezifisch und zeigt lediglich indirekte Zeichen wie pathologische Frakturen oder Knochenveränderungen.
Digitale Subtraktionsangiografie
Eine DSA ist nur in Ausnahmefällen notwendig und wird primär zur Diagnostik von vaskulären Erkrankungen und zur Abgrenzung von Tumoren eingesetzt (z. B. arteriovenöse Malformationen (AVM) mit myelopathischem Befund in der MRT).
Laborchemisch finden sich häufig erhöhte alkalische Phosphatase, Hyperkalzämie und beim Prostatakarzinom ein erhöhtes PSA. Für eine präzise Diagnose ist die Bestimmung von Tumormarkern entscheidend. Die Liquordiagnostik liefert selten entscheidende zytologische Hinweise.
Wie sieht die Therapie von Wirbelmetastasen aus?
Wirbelsäulenmetastasen erfordern eine interdisziplinäre Therapieplanung mit Onkologen, Strahlentherapeuten und Neurochirurgen.
Einstufung der Patienten
Die Behandlungsdringlichkeit richtet sich nach dem neurologischen Status des Patienten. Man unterscheidet drei Gruppen:
Gruppe 1: Notfall
Symptome einer neuen oder progressiven neurologischen Störung durch Rückenmarkskompression. Schnelle Diagnostik und Behandlung (innerhalb von Stunden) sind unerlässlich.
Gruppe 2: Dringlich
Leichte oder stabile Symptome einer neurologischen Störung sowie Zeichen einer Nervenwurzelreizung (Radikulopathie) müssen innerhalb von 24 Stunden abgeklärt und gegebenenfalls zeitnah behandelt werden.
Gruppe 3: Wahlpflichtig
Alleinige Rückenschmerzen ohne neurologische Ausfälle können ambulant innerhalb weniger Tage abgeklärt und planmäßig behandelt werden.
Therapiewahl
Die Therapiewahl hängt vom zugrundeliegenden Karzinomtyp, der Lokalisation, der Wirbelsäulenstabilität, der Symptomlänge und -ausprägung sowie dem Allgemeinzustand ab. Wichtige Faktoren für die Entscheidung über eine Operation und deren Art sind verschiedene Klassifizierungssysteme (Tomita Score, Tokuhashi Score oder Spinal Instability Neoplastic Score). Diese Systeme sind jedoch nicht universell anwendbar und dienen eher als Orientierungshilfen bei der interdisziplinären Entscheidungsfindung.
Das primäre Therapieziel ist die Reduzierung oder komplette Entfernung des Tumors, um das Rückenmark und die Nervenwurzeln zu entlasten und Schmerzen zu lindern.
Zur Auswahl stehen verschiedene Behandlungsmethoden:
Medikamentöse Behandlung
Cortison hilft, akute Schwellungen und Druck auf Nervenstrukturen zu reduzieren. Dadurch können Symptome vorübergehend gelindert und Schmerzen reduziert werden.
Bisphosphonate, ursprünglich zur Osteoporosebehandlung entwickelt, können den Knochenabbau verlangsamen und Schmerzen lindern.
Hormonpräparate sind bei manchen Tumoren indiziert.
Bestrahlung des Tumors
Die Bestrahlung des Tumors in unserer Universitätsklinik für Radio-Onkologie reduziert effektiv Tumorzellen. Verschiedene Bestrahlungsarten stehen zur Verfügung. Sie kann als alleinige Therapie oder nach einer Operation erfolgen.
Operation
Eine Operation ist notwendig bei schneller neurologischer Verschlechterung. Die häufigste Technik zur Entlastung des Rückenmarks ist die Laminektomie, bei der Teile des Wirbelbogens entfernt werden. Jedoch wird der Tumor nicht immer gut erreicht und es kommt zu einer weiteren Instabilität der Wirbelsäule.
Besteht durch die Knochenschaden eine Instabilität oder signifikante Verformung, ist eine Stabilisierung und Rekonstruktion der Wirbelsäule erforderlich. Zur Entscheidung über eine operative Stabilisierung werden Klassifizierungssysteme wie der SINS-Score verwendet. Dabei werden Faktoren wie Metastasenlokalisation, Ausmaß des Schadens und die Position der Wirbelkörper berücksichtigt.
Kypho- oder Vertebroplastie
Eine Kyphoplastie oder Vertebroplastie wird bei pathologischen Wirbelkörperfrakturen eingesetzt. Bei beiden Verfahren wird Zement über einen kleinen Einschnitt in den Wirbelkörper injiziert. Bei der Kyphoplastie wird zunächst ein Ballon im Wirbelkörper aufgeblasen, um Platz für den Zement zu schaffen. Diese Methode wird vor allem zur Schmerzbehandlung eingesetzt und führt bei 84 % der Betroffenen zu einer Funktionsverbesserung.
Wie ist die Prognose bei Wirbelmetastasen?
Die Prognose hängt primär von der Prognose des Primärtumors ab. Unser Fokus liegt auf Schmerzlinderung, Erhalt der Wirbelsäulenstabilität und Verhinderung bzw. Verbesserung eines Querschnittssyndroms. Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Prognose.
Günstige Faktoren sind:
- keine Metastasen in anderen Organen
- eine einzelne Knochenmetastase
- Brust-, Nierenkarzinom, Lymphome oder Myelome als Primärtumor
Ungünstige Faktoren sind:
- multiple Metastasen
- pathologische Frakturen
- Lungenkarzinom als Primärtumor
- neurologische Ausfälle
Der Status der neurologischen Funktionen vor der Operation oder Therapie ist entscheidend für das Ergebnis. Gerade Gehfähigkeit und Blasenfunktion sind von Bedeutung. Ein vollständiger Funktionsverlust des Schließmuskels ist ein ungünstiger Prognosefaktor und in der Regel irreversibel.
Der Metastasierungsort im Skelett hat keinen direkten Einfluss auf die Prognose, beeinflusst aber die chirurgischen Möglichkeiten.
Abeloff MD, Armitage JO, Niederhuber JE, Kastan MB, McKenna WG. Abeloff's Clinical Oncology E-Book. Elsevier Health Sciences; 2008:2592.
Algra PR, Heimans JJ, Valk J, Nauta JJ, Lachniet M, Van Kooten B. Do metastases in vertebrae begin in the body or the pedicles? Imaging study in 45 patients. AJR Am J Roentgenol. 1992;158:1275-1279.
Greenberg MS. Handbook of Neurosurgery. Thieme; 2016:1664.
Fisher CG, DiPaola CP, Ryken TC et al. A novel classification system for spinal instability in neoplastic disease: an evidence-based approach and expert consensus from the Spine Oncology Study Group. Spine (Phila Pa 1976). 2010;35:E1221-9.
Bauer HC, Wedin R. Survival after surgery for spinal and extremity metastases. Prognostication in 241 patients. Acta Orthop Scand. 1995;66:143-146.